Bibliothek

Aus dem Tagebuch eines Ghuls

von Solaire

Es ist kalt. Mein ganzer Körper zittert. Es fällt mir sogar schwer, den Stift zu halten ohne ihn fallen zu lassen oder so stark zu zittern, dass die Schrift unleserlich wird. Heute ist kein guter Tag. Eigentlich gab es in den letzten Wochen sehr wenig gute Tage und die schlechten Tage mehren sich. An den Kerker gewöhne ich mich langsam. Er sperrt mich häufiger hier ein als früher. Der Entzug raubt mir den Schlaf während meine Gedanken sich ständig in den selben Bahnen drehen und die vielen Fragen meinen Verstand an den Rand des Wahnsinns treiben: Warum verliert er das Interesse an mir? Was hat diese „Neue“, was ich nicht habe? Wann erbarmt er sich das nächste Mal dazu mir sein Blut zu schenken? Bei dem Gedanken an sein Blut fährt mir die Gier eiskalt in die Glieder. Ich brauche es....dringend. Mir ist klar, dass ich süchtig bin und ebenso weiss ich, dass man eine Sucht besiegen kann. Aber … ich will es gar nicht und das macht mir mehr Angst als jede Entzugserscheinung, die mich heimsucht. Ich kann mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Er ist grausam, er ist kalt, er ist brutal und er sieht nicht mich als eine Person sondern nur als eine Futterquelle, mit der man durchaus Spaß haben kann. Und dennoch.... mein Körper lechzt nach ihm, meine Haut ruft nach seinen Berührungen und mein Verstand fordert seine Aufmerksamkeit. Dieses Band ist so unglaublich stark. Manchmal ertappe ich mich dabei wie ich gedankenverloren über sein Brandzeichen an meiner Schulter streiche. Es tat so weh als er mir das glühende Eisen auf meine nackte Haut gepresst hat. Der Geruch nach verbranntem Fleisch verfolgt mich noch heute ab und an bis in meine Träume. Damals empfand ich blanken Hass gegen diesen Vampir, der mich aus meiner gewohnten, behüteten Umgebung gerissen und mich ins Fegefeuer der Hölle geworfen hat. Seit diesem Tag brenne ich. Verdammt dazu, den Rest meines erbärmlichen Lebens eine Marionette ohne eigenen Willen zu sein, seiner Willkür ausgesetzt und ohne Hoffnung auf ein normales Leben, wie ich es mir früher immer erträumt habe. Mein Verstand droht daran zu zerbrechen, dass ich ihn hasse aber ihn gleichzeitig so sehr liebe. Wie kann das sein? Was stimmt nicht mit mir? Was ist aus der selbstbewussten Frau geworden, die ich war? Sie hat nichts mehr mit der Person gemein, die hier in diesem Kerker liegt, frierend und mit zerfetzten Kleidern. Unfähig sich zu wehren und - schlimmer noch – UNWILLIG sich zu wehren. Die Gedanken an meine Eltern und meine Freunde werden immer seltener, ich scheine mehr und mehr aus der Welt zu gleiten und tiefer in mein düsteres, neues Leben gezogen zu werden. Ich hasse mich selbst dafür, was aus mir geworden ist, manchmal ekel ich mich regelrecht vor mir. Aber mein Weltbild hat sich verschoben, mein Universum ist nun ein anderes. Er ist mein Universum, meine Sonne, meine Gottheit, der Grund warum ich atme und warum mein Herz schlägt. Vielleicht...eines Tages.... macht er mich zu Seinesgleichen, hebt mich in den Status einer unsterblichen Seele. Die Hoffnung schwindet an Tagen wie heute aber sie ist dennoch da, ein ständiges, schmerzendes Pochen im Hinterkopf, nur vorhanden um meine Qual zu verlängern. Ich muss nur durchhalten. Von einer Sekunde zur nächsten, von einer Minute zur anderen. Ich würde dafür beten, aber der Gott an den ich früher geglaubt habe, existiert nicht mehr. An seiner Stelle steht er nun … unverrückbar und für den Rest meines Lebens.

Kekse und Cookies sind hier heiß begehrt! Mit der Nutzung unserer Webseite stimmt ihr der Verwendung und Speicherung von Cookies zu. Mehr dazu...
Ok!